Der Weg der Trauer

Die Traurigkeit lähmt. Alles fühlt sich so schwer an. Sogar der Blick bleibt am Boden. Die Welt um dich herum dreht sich weiter, aber es scheint, als kämst du nicht mehr mit. Irgendwie muss es aber weitergehen, und irgendwie gehst du weiter, aber in vielem funktionierst du einfach nur. Du läufst, aber es fühlt sich an, als würden deine Beine nicht zu dir gehören. Neben dir läuft einer mit, dem es genauso geht. Wenn mal einer von euch zu reden anfängt, klingt die Stimme müde und man hört die Enttäuschung. Alles, was euch zu sagen einfällt, fühlt sich leer und hoffnungslos an. Und so schweigt ihr viel auf eurem Weg. Nach einer Weile stößt noch jemand dazu und läuft neben euch. Du nimmst ihn kaum wahr mit deinem gesenkten Kopf. Bis er euch anspricht: Was belastet euch? Du merkst, wie gut es euch tut, ins Erzählen zu kommen. Wie gut es tut, dass einer zuhört. Ihr lasst alles noch einmal Revue passieren. Von Anfang an. Erzählt von euren gemeinsamen Erlebnissen und besondere Anekdoten. Sogar von den banalen Alltäglichkeiten sprecht ihr. Ihr lasst nichts aus. Und doch erzählt ihr mit dem Wissen, dass das jetzt alles vorbei ist. Und dir wird nochmal bewusst, was du verloren hast. Die Tränen fließen. Aber dieses Gespräch hat etwas verändert. Du bist nicht sicher, was genau. Ihr geht erstmal gemeinsam weiter, mal redend, mal schweigend, bis an das Ende des Weges. Dann esst ihr gemeinsam zu Abend. Er bricht das Brot, als ihr zusammen am Tisch sitzt. Und dir kommt der Himmel nahe in dieser Geste. Du merkst: Er ging neben mir, obwohl ich ihn für tot hielt. Auch heute ist er da, in jedem, der den Weg der Trauer mitgeht. Der das Schweigen aufbricht und sich die ganze Geschichte nochmal erzählen lässt. Sich Aufmachen und Weitergehen nach der Trauer ist ein weiter, schwerer Weg. Aber wir kommen nicht drumherum, ihn zu gehen. Zuerst bemerkst du das Brennen noch nicht, spürst nicht, dass ein sanfter Lufthauch die Glut nicht ausgehen lässt. Bis ein besonderer Moment dir wieder die Augen öffnet. Bis das Brot auf deiner Zunge nach Himmel und Erde schmeckt. Und du eine Flamme in dir spürst, ein Brennen, das dich lebendig macht. Bis du beginnst, neu zu leben.

 

Maike Ogrysek, Pastorin